Reisebericht Teil 2: Eine kleine Stadt mit rund 500 Tempeln
Die letzten Tage waren intensiv. Zwischen all den Sehenswürdigkeiten, wilden Tieren und pulsierenden Metropolen blieb kaum Zeit zum Durchatmen. Deshalb zog es uns nach Pushkar in Rajasthan, um genau das zu tun – zur Ruhe zu kommen.
Die Sonne ging gerade unter, der Himmel erstrahlte in Pastelltönen und eine Mondsichel war zu sehen. Ich fühlte mich angekommen. In diesem kleinen Pilgerstädtchen herrscht eine positive Energie. Kein Wunder, dass Pushkar bei Hindus und Reisenden gleichermassen beliebt ist. Für Hindus ist dieser heilige Ort aufgrund des Sees von großer Bedeutung. Der Legende nach wurde der See von Gott Brahma persönlich erschaffen. Reisende pilgern hierher, um gutes Essen zu genießen, Yoga zu praktizieren und vielleicht sogar den Sinn des Lebens zu finden.– ob sie ihn hier finden, blieb uns verborgen
Auch wir verbrachten viel Zeit am heiligen See, umrundeten ihn barfuss (an heiligen Orten werden Schuhe ausgezogen), immer hochkonzentriert, um nicht in Kuhdung zu treten. Wir spazierten durch Tempelanlagen, am Seeufer entlang, beobachteten die Gläubigen bei ihren Ritualen und suchten immer wieder Rooftop-Cafés auf, um das Treiben ungestört zu beobachten.
Beim Flanieren lernten wir einen Yogalehrer kennen, der in seinem Familien-Ashram Yogastunden anbietet. Am nächsten Morgen besuchten wir die erste Stunde bei Sanatan in einer offenen Yogashala (Yogaraum) mit Bildern seiner Vorfahren an den Wänden. Die Hatha-Yogastunde war körperlich anstrengend, Aufgeben war bei ihm nicht erlaubt. Wer frühzeitig aus einer Übung ausstieg, ließ die ganze Gruppe leiden. Er unterbrach das Zählen, bis alle wieder in Position waren, grinste verschmitzt und ließ uns ein paar zusätzliche Sekunden in der Asana ausharren. Auch an sein „five, five, five, five, siiiiix“ erinnerten wir uns jedes Mal, wenn sich bereits nach wenigen Stunden der Muskelkater ankündigte. Qualen hin oder her, ich mochte seine Yogastunden sehr. Nach jeder Lektion legte er seine strenge Art ab, verbeugte sich demütig vor dem Schrein, der seinen Lehrern und Göttern gewidmet ist, und verliess singend den Raum.
Nach einer Morgenpraxis forderte uns Sanatan auf, die Yogashala zu verlassen und uns nebeneinander an die Hauswand zu stellen. Inzwischen war die Temperatur angenehm, der Nebel hat sich aufgelöst und die Sonne strahlte über uns. Wir wurden in eine intensive Sonnenmeditation eingeführt, streckten unsere Stirn bzw. unser drittes Auge der Sonne direkt entgegen, um kraftvolle Energie zu tanken. Währenddessen rezitiert er Mantras. Der Schweiss stand uns auf der Stirn, ein intensives Gefühl breitete sich aus und die kühle Hauswand im Rücken gab uns ein Gefühl von Sicherheit, den meditieren im Stehen ist nicht ohne. Das Schöne am Reisen ist das tägliche Dazulernen, sei es über Land und Kultur oder neue Yogatechniken.
Nach den morgendlichen Yogastunden liessen wir die Tage an uns vorbeiziehen und erfreuten uns an jedem Sonnenuntergang, wenn sich Einheimische und Touristen am See treffen und gemeinsam die Sonne verabschieden. Ein sich täglich wiederholendes Spektakel. Es wurde getrommelt, getanzt und meditiert. Das liess mich nachdenken, wann nehmen wir uns Zeit, etwas Alltägliches wie den Sonnenuntergang so zu zelebriere?
Auf zum nächsten Pilgerort
Vollgetankt reisten wir mit dem Nachtzug 14 Stunden nach Rishikesh, einem Ort im Norden Indiens. Rishikesh ist spätestens seit den Beatles, die 1968 dort die Erleuchtung in einem Ashram suchten, auch im Westen bekannt für Yoga und Spiritualität. Inzwischen bezeichnet man Rishikesh sogar als Hauptstadt des Yoga. Von Hauptstadt-Flair kann man zum Glück nicht sprechen, der Ort erstreckt sich entlang des Ganges (heiliger Fluss) und ist von Wäldern und Bergen umgeben.
Wir blieben eine Woche und liessen uns treiben. Ich besuchte die mit Abstand anstrengendste Yogastunde meines Lebens. Badete in einem kalten Wasserfall und dippte sogar meine Füsse im Ganges, der hier noch mehr oder weniger sauber ist. Wir erfüllten uns den romantischen Wunsch auf einer Royal Enfield Himalaya mit Retro-Charm durch die Gegend zu fahren.
Ja, das war verrückt. Während wir von der Motorradverleihung Richtung dicht befahrene Hauptstrasse rollten, kam ich ziemlich ins Schwitzen, klammerte mich an meinem Freund fest und atmete tief ein und aus. Wir gewöhnten uns zum Glück schnell daran, mein Freund ans Fahren im hektischen Linksverkehr und ich daran eine entspannte Beifahrerin zu sein. Wir erkundeten die Umgebung, besuchten Bergtempel und entdeckten direkt neben dem Ganges die Vashishta Höhle. In der feuchten stickigen Höhle sassen die Meditierenden dicht aneinander. Mich vertrieb der unangenehme modrige Geruch schnell aus der Höhle und nur ein paar Meter weiter unten fand ich dann meine Meditationshöhle mit Tageslicht und vor allem frischer Luft.
In der Yoga-Metropole
Eine passende Yogastunde zu finden, stellt in Rishikesh keine Herausforderung dar. Man wird fast vom Yogaangebot erschlagen. Wir besuchten während den letzten Tagen die Abendstunde in der Swami Vivekananda Schule (Swami Vivekananda war ein bekannter Yogalehrer). Der Lehrer Yogi Mohan Ji betritt den Raum, verneigt sich vor dem Schrein und beginnt ein Mantra zu rezitieren, ein sich immer wiederholender Ablauf, der uns zu verstehen gab, dass die Asana Praxis jetzt beginnt. Er läuft durch den Raum und ist präsent und wohlwollend, aber strahlt, wie alle Lehrer, die mir in Indien begegnet sind Strenge aus. Hier in Indien erfordert die Yogapraxis Disziplin und lässt wenig Freiraum für persönliches Befinden. Das Praktizieren von Hingabe wird auf den Alltag verlegt. Überall werden Schreine liebevoll gepflegt, Opferblumen dem Ganges übergeben, streunende Tiere gefüttert und Reinigungsrituale vollzogen. Aber auf der Matte gilt Ernsthaftigkeit und den Anweisungen des Lehrers zu folgen.
Neben Yoga praktizieren gehört das Verweilen am Ganges zu einem absoluten Muss in Rishikesh. Die Sadhus (heilige Männer – Asketen) sitzen in ihren Gewändern, manche von ihnen aber auch fast nackt, am Flussufer, die Gläubigen baden vollbekleidet im Ganges um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Indische und ausländische Touristen beobachten das ganze Treiben mit neugierigen Augen, während Kühe und Affen sich unter die Zuschauer an der Promenade mischen. Ja, ich verstehe nun, wieso John Lennon so lange blieb und wieso es Yogis immer wieder hierhinzieht.
Ich kann es kaum erwarten den nächsten Ort zu besuchen. Ein Ort der Extreme, manche nennen es das wahre Indien, andere sind froh, wenn sie ihn wieder verlassen können.
Wir sind gespannt…




