Reisebericht Teil 3: Leben und Tod gehen hier Hand in Hand
Nach einer Woche der Ruhe und Idylle fühlte sich das Ankommen in Varanasi überfordernd an. Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel dauerte für weniger als 30 Kilometer über 1,5 Stunden und unser Taxi kollidierte, dabei gleich zweimal mit anderen Fahrzeugen. Nur leicht, so dass es beide Fahrer bemerkten aber niemand reagierte. Das Taxi, in dem wir sassen, war ohnehin schon so verbeult, dass man wahrscheinlich nicht hätte feststellen können, welche Beule von dem gerade passierten Aufprall stammte.
Vor der Abreise habe ich mich besonders intensiv mit Varanasi beschäftigt. Ich war gespannt und zugleich unsicher, was uns erwarten würde. Wir waren während der Weihnachtszeit dort. Ganz ungewohnt für uns, die besinnlichen Feiertage an einem so lauten Ort zu verbringen. Würden wir Varanasi wieder besuchen? Definitiv! Es fühlt sich an, als hätten wir diese Stadt noch nicht vollständig ergründet.
Was Varanasi so besonders macht: Für viele gläubige Hindus ist es das höchste Ziel, in Varanasi zu sterben. Die Stadt gilt als heilig, und der Legende nach ist hier die bedeutende Gottheit Shiva zu Hause. Im Ganges selbst sehen Hindus die personifizierte Flussgöttin Ganga.
Wenn wir uns auf unserer bisherigen Reise mit Einheimischen unterhielten und von unserem Plan nach Varanasi zu reisen, erzählten, bekamen sie leuchtende Augen. Die Stadt ist für viele Menschen in Indien von grosser Bedeutung und das spürt man vor Ort sehr intensiv.
Als wir aus unserem Hotel traten, empfing uns ein schwerer Geruch, eine Mischung aus Räucherstäbchen, verbranntem Plastik und Abwasser. Unser Hotel lag direkt am Assi Ghat, einem der 84 Ghats (Treppenstufen), die sich am Ganges Ufer befinden. Wir schlenderten am Flussufer entlang, mussten immer wieder übelriechende Pfützen ausweichen, während das braune, trübe Wasser an die untersten Treppenstufen plätscherte. Wir beobachteten Priester und Gläubige die am Boden hockend, für uns nur schwer deutbare Rituale, vollzogen. Menschen von jung bis alt, die in einem der schmutzigsten Flüsse der Welt badeten. Hingebungsvoll tauchen sie in das braune, trübe Wasser, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Mit Drachen spielende Kinder rannten an uns vorbei, während abgemagerte Hunde die Treppen zum Fluss nach Fressen absuchen. Ständig wurde uns etwas angeboten: Bootsfahrten, Segnungen, Massagen oder Souvenirs. In Varanasi ist vieles aufdringlich, auch der Geruch, der immer beissender wurde, je näher wir dem Verbrennungsghat kamen.
An diesem Ort werden die Verstorbenen mitten auf der Promenade verbrannt, die Asche wird anschließend dem Ganges übergeben. Durch dieses Ritual werden die Gläubigen erlöst und können aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt befreit werden. Gläubige Inder*innen reisen hierhin, um sich ihren letzten Wunsch zu erfüllen; in Varanasi zu sterben.
Zuhause hat sich der Gedanke, dem Tod so nahe zu sein, befremdlich angefühlt. Hier gehörte es zur Realität und Normalität, auch für uns. Hier finden Leben und Tod nebeneinander statt. Während wir mitten im Geschehen stehen, trägt der Wind Asche in unsere Richtung, Rauchschwaden hängen über uns. Zwei Verbrennungen sind im Gange, direkt vor der Treppe, auf deren Stufen Dutzende Menschen sitzen, sich angeregt unterhalten, Chai trinken und scheinbar ungerührt die vorangehende Kremierung beobachten.
Varanasi hat uns schockiert, berührt, unsanft wachgerüttelt aber auch immer wieder zum Lachen gebracht.
Die Weihnachtstage waren vorüber und es wurde Zeit für uns weiterzuziehen.
Ferien in «Gods own country»
Das Klima im Norden war mild, die Tage angenehm und die Nächte kühl bis eisigkalt. Von Varanasi flogen wir in den Süden, nach Kerala. In viel zu warmer Kleidung stiegen wir aus dem Flugzeug. Die Luftfeuchtigkeit und die Wärme trafen uns wie eine Wand.
Wir reisten von Kochi mit einem Uber (was in Indien super funktioniert) in den 100 km entfernte Bergort Munnar. Die Fahrt dauerte fast einen halben Tag, kurvige Strassen führten uns zu unserem Ziel inmitten unzähliger Teeplantagen. Wir verbrachten ein paar Nächte bei einer Familie, übernachteten in einem einfachen kleinen Zimmer und liessen uns von den Kochkünsten unserer Gastmutter verwöhnen. Das Klima hier ist subtropisch und doch kühler als an der Küste. Kein Wunder, dass es zu Kolonialzeiten ein beliebtes Feriendomizil der Engländer war. Wir unternahmen Ausflüge in die Teeplantagen, Wanderungen und besuchten zu meiner Freude einen Gewürzgarten, in dem ich viel über Gewürze und ayurvedische Heilpflanzen lernte. Der Guide pflückte uns die weltbeste Passionsfrucht direkt vom Baum und wir durften das rohe Fruchtfleisch einer Kakaobohne probieren. Wieder einmal mehr ein Erlebnis für alle Sinne.
Erholt und glücklich verliessen wir die Berge und verbrachten Silvester ganz unspektakulär an der Küste in einem verschlafenen Fischerdorf. Wie schön es war, faulenzend mit einem guten Buch im Liegestuhl das alte Jahr abzuschliessen. So schön, wie das alte Jahr endete begann das Neue, als am Neujahrsmorgen eine Gruppe Delfine nur wenige Meter vom Strand entfernt an uns vorbeischwammen – was für ein Geschenk!
ABER wir können nicht lange Faulenzen. Ob in den Bergen oder an der Küste, es war wunderbar. Trotzdem freuten wir uns auf das Stadtleben in Fort Kochi. Meiner Meinung nach darf es wieder quirliger werden, wir sind ja in Indien.
Fort Kochi Ayurveda & Yoga
Da ich mich schon lange mit Ayurveda beschäftige, war es klar, dass wir uns in Kerala einer Ayurveda-Behandlung unterziehen müssen. Kerala ist bekannt für seine vielen guten Ayurveda Institutionen. Für die erste Behandlung wählte ich die weniger exotische Abhyanga Massage und als zweites wagte ich mich dann Shirodhara (Stirnguss) auszuprobieren. Während knapp einer Stunde auf dem Rücken liegend, wird einem angenehm warmes Sesamöl in einem dünnen Strahl auf die Stirn gegossen. Der Stirnguss soll bei Migränen Patienten wirkungsvoll sein und ist wirklich sehr entspannend. Beide Behandlungen, die Abhyanga-Massage sowie Shirodhara, waren sensationell. Nur danach das viele Öl aus den Haaren zu kriegen, stellte sich als grosse Herausforderung heraus und dauerte seine Zeit.
Auch hier in Fort Kochi haben wir wieder einmal eine wohltuende Yogastunde gefunden. So gingen wir am Nachmittag vor unserem Rückflug nach Delhi, bei 33 Grad und 80 % Luftfeuchtigkeit zum aller letzten Mal ins Yoga. Aksharanand ist der Sohn von Sajee Yoga Master und leitet seit einiger Zeit die Yogaschule seines Vaters. Während der zweistündigen Session floss der Schweiss, ob vor Anstrengung oder einfach, weil es sehr heiss war, ist schwer zu sagen.
Die Yogashala blieb auch während der Lektion offen, daher überrascht es nicht, dass zwischendurch tierischer Besuch, wie Katze und Hund, vorbeikamen. Als plötzlich eine Katze mitten im Raum unaufhörlich würge Geräusche von sich gab, schüttelte es mich vor Lachen. Unser Lehrer packte das süsse Kätzchen kommentarlos auf das Fensterbrett und führte seinen Unterricht unbeirrt fort. Der Magen der Katze schien sich nach wenigen Minuten beruhigt zu haben, sie legte sich neben uns und schlief friedlich. Zum schönen Abschluss waren wir bei Aksharanand und seinem Vater zum Abendessen eingeladen. Die Gastfreundschaft in diesem Land brachte uns immer wieder zum Staunen.
Zurück in Old Delhi
Was für ein Szenenwechsel! Vom «Land der Kokosnüsse» zurück in den Grossstadtdschungel.
Wir standen mitten auf der Strasse, genau der Strasse, die wir am ersten Tag überqueren mussten. Der Verkehr noch dichter als am ersten Tag, aber noch viel dichter war die Menschenmasse auf dem Gehweg. Um schnell voranzukommen, wechselten wir vom Gehweg auf die Strasse. Es war Rushhour und die Fahrzeuge bewegten sich nur langsam vorwärts. Wir schlängelten uns zwischen rollenden Tuk Tuks und Motorrädern hindurch, bis zur Metrostation. Wer hätte das am ersten Tag gedacht … Wer hätte das am ersten Tag gedacht … wie schnell man sich doch an eine neue Umgebung anpassen kann. Was sich anfangs fremd und ungewohnt anfühlte, wurde in kürzester Zeit zur Normalität.“



